Samstag, 13. Februar 2021

Bücherwelten: Naomi J. Williams' Roman „Die letzten Entdecker“

Reiseabenteurer bedauern eventuell, nicht wie noch vor wenigen 100 Jahren mit großen Segelschiffen auf Entdeckungstour gehen zu können. Solche Gedanken sind auch mir nicht fremd. 

Indes, das war – im Unterschied zu den vergleichsweise moderaten Gefahren von Corona, die in erster Linie alte Menschen treffen – wirklich gefährlich und vielfach auch unerfreulich, herrschte auf diesen Schiffen doch eine ausgeprägte Hierachie, in denen die meisten „Mitreisenden“ zwar vielleicht eine Funktion, aber rein gar nichts zu sagen hatten. 

Die weitgehend unbekannte Autorin legte zu so einer Entdeckungsreise ihren lesenswerten Debut-Roman (orig.: „Landfalls“, 2015) vor. Er erzählt von der tragischen Expedition zweier bewaffneter, französischer Fregatten, die sich 1785 mit einem Haufen Forschungsreisender aufmachten, vielleicht noch unbekannte Gegenden zu erkunden. Man weiß Einiges von dieser Reise, weil es damals bereits ein Post- und Botenwesen gab. Die Autorin behandelt nicht jeden Haltepunkt der Reise, sondern eine Auswahl. 

Das Buch beginnt in Brest und mit der Ausrüstung der Schiffe mit wissenschaftlichen Instrumenten und Tauschwaren. Der erste Haltepunkt der Schiffe war Teneriffa und wird relativ kurz abgehandelt. 

Der nächste behandelte Haltepunkt ist dann erst wieder die damals zum spanischen Kolonialreich gehörende chilenische Stadt Concepción. Es ist mit über 100 Seiten das längste Kapitel im Buch und es fängt damit an, dass die Stadt zunächst gar nicht gefunden wurde, weil sie Jahrzehnte vorher von einem Erdbeben mit Tsunami dem Erdboden gleich gemacht und nicht wieder am selben Platz aufgebaut wurde. Das Wissen über das Ereignis erreichte zur damaligen Zeit jedoch nicht Frankreich – anders als heute, wo man schon Stunden nach einem bedeutenden Erdbeben auf der anderen Seite unserer Weltkugel hier in Deutschland davon erfährt. 

Der Besuch der damals eher schäbigen Kleinstadt war angekündigt. Man führte Empfehlungsschreiben des Königs und Geschenke mit. Klar, nur die meisten Offiziere und die Wissenschaftler durften in die Stadt, wurden von den Repräsentanten der Stadt empfangen, vergleichsweise nobel untergebracht und bewirtet. Man erfährt im Roman viel über die von Hierarchie, Abstammung, Kirche und Rassismus geprägte patriarchalische Kolonialgesellschaft, die den Eindruck erweckt, seit Jahrhunderten in starren Strukturen zu verharren. 

Die Schiffe segeln dann nach Alaska weiter, wo es in einer Meerenge zur ersten größeren Katastrophe kommt und etwa 20 Besatzungsmitglieder ertrinken. Dieser Teil der Geschichte wird – sehr interessant - zum Teil auch aus der Sicht beobachtender Indianerkinder geschildert. 

Die Schiffe segeln danach die Küste runter nach Kalifornien, wo sie in einem Hafen wiederum Zeugen des im Mittelalter verharrenden spanischen Kolonialreichs werden. Hier gab es zur damaligen Zeit nur einige Militärposten und von Franziskanern betriebene Missionsstationen, in denen diese den Ureinwohnern mit Gewalt und Zwangsarbeit das Christentum beizubringen suchten. In einer bei wikipedia zitierten Quelle heißt es: „Von geschätzt 310.000 indianischen Einwohnern, die 1769 in Kalifornien lebten, sei 100 Jahre später nur ein Sechstel übrig gewesen“. 

Danach queren die Schiffe den Pazifik und sind irgendwo bei den Philippinen, Macao, Japan und Kamschatka unterwegs. Der Stopp in Kamschatka hat große Bedeutung, da ein russischer Dolmetscher an Bord der Segelschiffe war. Dieser ging dort auch von Bord, um mit wichtigen Expeditionsdokumenten und Begleitschutz Sibirien zu durchqueren und sie nach Frankreich zu bringen. Über diese Landreise und die infrastrukturell und klimatisch widrigen Reisebedingungen berichtet das Buch auch. Ab und zu gab's zwangsweise eine Frau für die Nacht, konnte man die bei einigen Völkern übliche gastfreundschaftliche Geste doch nicht verweigern, ohne zu riskieren, umgebracht werden. 

Von Kamschatka steuerten die Schiffe quer über den Pazifik. Auf den Samoa-Inseln gab es die nächste größere Katastrophe. Frischwasser zu besorgen, war wichtig für Segelschiffe. Die Expedition zu einer Quelle endete in einem Massaker durch die Ureinwohner, einer der Kapitäne, diverse Offiziere und Wissenschaftler kamen um. 

Von einem Stopp an der australischen Ostküste wurde 1788 die letzte Nachricht nach Europa gesendet. Die Schiffe segeln weiter nach Norden und die Spur verliert sich zunächst. 

Doch die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende, denn 38 Jahre später werden Gegenstände der Segelschiffe auf einigen abgelegenen Inseln der Salomonen gefunden. Die Autorin erzählt hiervon, und auch von Überlebenden und Beinhäusern. Wer sich für den Background interessiert, sollte über das Ende der Expedition bei wikipedia nachlesen. 

Im Ergebnis habe ich wieder ein paar abgelegene, mutmaßlich abenteuerliche Reiseziele entdeckt.

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