Montag, 4. Januar 2021

Abstrakte Reisegefahr: die Pest

Über die Pest zu schreiben, ist ebenso abwegig wie naheliegend. Wie unten dargelegt wird, gehört sie zu den abstrakten Reisegefahren. Relativ „in“ ist es zurzeit, Albert Camus' alten Roman „Die Pest“ zu lesen. Diverse Medien berichteten über das Buch – und auch über zeitweilige Lieferengpässe. Ich habe das Buch jetzt auch gelesen – und dies ist der Anlass dieses Beitrags. 

Als unserer Gesundheitsminister im Frühjahr letzten Jahres nach dem gehäuften Auftreten von Corona-Infizierten im Kreis Heinsberg verkündete, es sei „unverhältnismäßig“, die Region abzusperren, konnte sich jeder denken, der schon mal einen Schnupfen gehabt hat, welche Folgen das haben kann, denn die Weiterverbreitung von Seuchen ist an die Mobilität der „Wirte“ und an ihre Kontakte geknüpft. Jenseits der Diskussion um die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen hätte es allerdings in der Tat nichts gebracht, den Kreis Heinberg rigoros abzusperren, wenn die Viren - wie geschehen - auch entlang der langen Bundesgrenze in Baden-Württemberg oder Bayern zunächst ungehindert nach Deutschland kommen konnten. Da hatten es Inseln wie Taiwan einfacher, tatsächlich das ganze Land rigoros und vor allem rechtzeitig abzusperren. 

Camus' Roman wurde 1947 veröffentlicht. Er schildert den Ausbruch der Pest in der algerischen Stadt Oran in den 1940er Jahren. Damals gab es Algerien noch gar nicht, die Gegend gehörte seit 1881 zu Frankreich. Die Präfektur ließ – im Roman – nach anfänglichem Zögern die ganze, etwa 200.000 Einwohner zählende Stadt rigoros absperren. Der Roman schildert detailliert, wie sich die Pest über etwa 10 Monate ausbreitet und zurückzieht, welche Maßnahmen die Behörde ergreift, wie die Presse reagiert und wie sich die Menschen verhalten. Manchmal zog ich die Augenbrauen hoch, sah Parallelen zu unserer Corona-Pandemie, etwa wenn Camus schildert, wie man dazu übergeht, die Zahl der Pesttoten täglich zu veröffentlichen, wie die Menschen die Zahlen nicht einordnen können, auch weil zeitgleich die Zahl der sonstigen Toten verschwiegen wird (wie bei uns!). 

In Europa hat die Pest im Mittelalter viele Millionen Menschen dahingerafft, doch gilt sie hier nunmehr seit etwa 75 Jahren als ausgerottet. Ratten waren im Mittelalter Träger des Pest-Bakteriums. Sie hatten Flöhe, die das Bakterium einsaugten und die dann auch gerne die Menschen bissen. Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung gab es dann aber auch. 

Von 1899 bis zum Herbst 1945 erkrankten in ganz Europa nur noch 1692 Menschen an der Pest, 457 von ihnen starben. Die Pest war in Europa durch organisatorische und medizinische Maßnahmen daher praktisch schon besiegt. Die letzten Pesttoten gab es 1945 in Italien (sueddeutsche). 

Anderorts sah es jedoch anders aus. Zwischen 1894 und 1911 starben etwa 15 Millionen Menschen an der Pest, die meisten in China und Indien. Das war die Dritte Pest-Pandemie (wikipedia).

In den 1940er Jahren starben in China etwa 20.000 Menschen an der Pest infolge der Freisetzung eines biologischen japanischen Kampfstoffes (wikipedia). Das ist vermutlich der letzte dokumentierte große Ausbruch gewesen. 

Doch wie sieht es mit dem realen historischen Hintergrund von Camus' Roman aus? Die Pest gab es in Algerien. Im Jahr 2003 kam es nach 50 Jahren sogar wieder zu einem Pestausbruch (wikipedia). Ich vermute jedoch, dass es die Pest im geschilderten Ausmaß in Oran nicht gegeben hat. Nach Angaben von Camus starben am Hochpunkt der Seuche etwa 135 Menschen täglich. Es müssten also Tausende an Toten gewesen sein. Ich fand keine Quelle dazu. Camus kannte Oran, und deshalb ist der Roman als fiktiver Pest-Roman wahrscheinlich dort angesiedelt. Vielleicht war Porto sein Vorbild? Dort gab es 1899 eine Pestepidemie, die dazu führte, dass das Militär die Stadt rigoros absperrte. Es gab Hunger und öffentliche Proteste (sueddeutsche). 

Weltweit gibt es die Pest heute noch in vielen Ländern, doch sie ist in frühem Stadium inzwischen gut mit Antibiotika behandelbar und gelegentliche Ausbrüche, etwa 2020 in China (t-online), haben nur noch Kranke oder wenige Tote zur Folge. 2006 starben im Kongo über 100 Menschen an der Pest (abendblatt). Zwischen 2010 und 2015 registriert die WHO weltweit 3.248 Pest-Erkrankungen mit 584 Todesfällen. 80 Prozent dieser Infektionen erfolgten in Afrika (netdoktor). Seit 2010 sind auf Madagaskar rund 600 Menschen an Pest gestorben (wikipedia).
 
Im Vergleich zu unserer Corona-Pandemie wird deutlich, dass die Pest heute ein vergleichsweise „kleines Problem“ darstellt, werden doch mittlerweile etwa 35.000 Corona-Tote allein in Deutschland gezählt (Stand heute). Die Pest ist ein vernachlässigbares Reiserisiko, da sie ganz überwiegend nur in sehr abgelegenen oder kriegbelasteten Regionen zu etwas größeren Ausbrüchen mit Toten führt. Dies hat viel mit Armut, den konkreten hygienischen Verhältnissen vor Ort, fehlenden Ärzten und Medikamenten zu tun. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen